Was tun bei Stress? Kämpfen, flüchten oder erstarren


Wann ist der Stress am größten? Jetzt! In den Wochen vor Weihnachten. Abarbeiten, was seit Monaten liegen geblieben ist. Vorarbeiten, damit zwischen Weihnachten und Neujahr nicht gearbeitet werden muss. Weihnachtsfeiern vorbereiten, feiern, verdauen. Keine Zeit zum Training. Deshalb schlechtes Gewissen. Gewicht steigt, Fitness schwindet. Krankheit droht. Denn Stress ist laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) eines der größten Gesundheitsrisiken unseres 21. Jahrhunderts. Stress spielt bei der Entstehung von diversen Zivilisationserkrankungen eine wichtige Rolle. So sind Herz-Kreislaufprobleme, Bluthochdruck, Schwindel, Ohrengeräusche, Rücken- oder Kopfschmerzen, aber auch Schlafstörungen, psychische Erschöpfungszustände, Magen- oder Hautprobleme sowie häufige Infektanfälligkeit klassische Ausprägungen stressbedingter Störungen. Wer dem ganz normalen Stress vor Weihnachten entgehen will, muss erst einmal wissen, was der Stress mit IHM/IHR macht.


„Stress beginnt im Kopf“ sagt man und das ist in doppelter Hinsicht zutreffend. Zum einen machen wir uns durch unsere Gedanken den Stress buchstäblich selber und zum anderen sind die körperlichen Stressreaktionen Folge eines Stressimpulses, der vom Gehirn ausgesendet wird.

Tritt ein unvorhergesehenes Ereignis auf, ein sogenannter Stressor, nehmen wir dies zunächst mit einem unserer fünf Sinne wahr, den Augen, Ohren, der Nase, über den Geschmackssinn oder die Haut. Im nächsten Schritt findet eine Beurteilung der Situation statt und es wird entschieden, ob sie für uns relevant ist oder nicht und wenn ja, ob sie erfreulich, herausfordernd oder gar bedrohlich einzuordnen ist. Im letzten Fall kommt es zu einer weiteren Prüfung und der Frage, ob wir Möglichkeiten zur Bewältigung der Situation haben. Wird die Frage mit „nein“ beantwortet, wird quasi Alarm ausgelöst und es kommt zu dem bekannten Stressempfinden. Man könnte es also so formulieren: Stress ist das, was wir empfinden, wenn wir eine Situation als belastend erleben, sie also so einschätzen, dass wir sie nicht eigenständig bewältigen können.

Stress ist also eine höchst individuelle Angelegenheit. Wir empfinden ihn völlig unterschiedlich. Als Folge jedoch reagieren wir auf Stress alle gleich und zwar mit drei möglichen Verhaltensmustern:

 

Wir wollen weglaufen (Fluchtimpuls), brausen auf (Kampfimpuls) oder erstarren (Totstellen).

 

Stress setzt bei seiner Entstehung eine lange Kette von Prozessen in Gang, die allerdings blitzschnell ablaufen, so dass der Stress sich quasi reflexhaft ausbreitet und diverse körperliche Reaktionen zur Folge hat:

- Die Durchblutung des Gehirns wird aktiviert, wodurch sich die Denkleistung und 

   Entscheidungsgeschwindigkeit verbessern,

- die Bronchien erweitern sich und

- die Atmung wird beschleunigt,

- eine erhöhte Muskelspannung führt zur Verbesserung der Reflexe,

- die Pupillen weiten sich,

- der Blutdruck steigt und der Herzschlag wird schneller,

- die Blutgerinnungsfähigkeit erhöht sich für den Fall einer Verletzung,

- die Verdauungstätigkeit, Energiespeicherung und Libido werden hingegen gehemmt,

- und kurzfristig stellt sich eine ebenfalls erhöhte Schmerztoleranz und Immunabwehr ein.

Der Organismus ist jetzt bereit, der drohenden Gefahr entgegenzutreten.

 

Welche der drei Verhaltensweisen in Kraft tritt, ist abhängig von dem entstanden Gefühl: Kampf bzw. Angriff entstehen infolge von Ärger, Flucht durch Angstgefühle und Erstarren bzw. Passivität aufgrund des Gefühls von Hilflosigkeit.

 

Als Stress das Überleben sicherte

 

Vor Millionen von Jahren hat uns dieses System das Überleben gesichert. In heutiger Zeit sehen wir uns allerdings nur sehr selten Situationen gegenüber, die wirklich bedrohlich für unser Leben sind. Die physischen Gefahren sind mittlerweile weitestgehend durch soziale oder psychologische Belastungen ersetzt. Aber wenn der Chef mal wieder seinen Tobsuchtsanfall bekommt, der Kunde unermüdlich Zeitdruck ausübt, wir im Verkehr feststecken und zu einem wichtigen Termin unterwegs sind oder zu Hause alle gleichzeitig etwas von uns wollen, reagiert unser Organismus wie vor Millionen von Jahren. Unser Limbisches System, das Reptilienhirn, übernimmt automatisch, wenn das Unterbewusstsein „Gefahr“ signalisiert. Da die Reaktion aber der Situation nicht angemessen ist, wir also überreagieren, bringt uns das Probleme.

 

Auch wenn diese Überreaktion für sich genommen zwar wie ‚mit Kanonen auf Spatzen schießen’ ist, stellt sie aber per se keine Gesundheitsgefahr dar, denn der Stress würde sich in Ruhe langsam wieder abbauen und die Körperfunktionen würden sich normalisieren. Vor allem, wenn wir den Stress zeitnah durch ein besonders kraftraubendes Fitness-Training abbauen.

Gefährlich für die Gesundheit wird es allerdings, wenn die Stressreaktionen nicht nur kurzfristig aktiviert und unmittelbar darauf durch körperliche Aktivitäten wieder abgebaut werden, sondern immer wieder auftreten, dauerhaft anhalten und nie vollends abgebaut werden. Wenn also kaum eine Stresssituation überstanden ist, schon die nächste ansteht.

 

Stress ist seiner schönsten Form

 

Wie schön, dass Stress auch positiv als herausfordernd, anregend und motivierend empfunden werden kann und nicht nur negativ und ablehnend zu betrachten ist. Ganz im Gegenteil. Wir benötigen Stress, um ein erfülltes Leben zu führen. Denn zum Beispiel sind die Schmetterlinge im Bauch, die wir fühlen, wenn wir verliebt sind, nichts anderes als eine körperliche Stressreaktion. Ohne Stress würde unser Leben also sehr eintönig verlaufen.


 

Beitrag aus der shape UP fitness Ausgabe November/Dezember – 

Foto: ostill, Shutterstock